50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts

Rückblick von Dora Andres, ehemalige Regierungsrätin:  Ist eine Frau von etwas überzeugt, kann sie heute das Ziel erreichen. Nachdenklich gestimmt hat mich, dass ich jeweils die erste Frau der FDP im Gemeinderat, die erste FDP Grossrätin aus dem Amtsbezirk Interlaken und auch die erste FDP Regierungsrätin war. Wir sind noch nicht am Ziel, da liegt noch viel Arbeit vor uns, doch es liegt an den Männern und an den Frauen.

Im Jahr der Abstimmung, 1971, war ich knapp 14 Jahre alt. Damals hatte ich andere Ziele: Die Theorieprüfung für Mofas und Traktoren zu bestehen und unsere Damen-Grümpelturnier- Fussballmannschaft auf Erfolgskurs zu bringen. Fast jedes Wochenende standen wir bei einem Turnier im Einsatz.

Erst bei der Berufswahl wurde ich zum ersten Mal mit der Ungleichbehandlung von Mann und Frau konfrontiert. Ich wollte bei der SBB die Lehre als Betriebsdisponentin, inkl. Fahrdienst machen. Da wurde mir erklärt, dass es für Mädchen keine direkte Ausbildung gäbe. Zuerst müsse ich eine Lehre als Betriebsbeamten, nur Schalter- und Innendienst - ohne Zugabfertigung, erfolgreich abschliessen. Falls der Notendurchschnitt bei fünf oder höher liege, stehe mir die Zusatzausbildung zur Betriebsdisponentin offen. Ich und neun weitere Frauen schafften es und durften die Zusatzausbildung antreten.

Nicht nur ich, auch die anderen Frauen mussten sich in der praktischen Ausbildung einiges von den Männern anhören. So zum Beispiel: «Wollen dann sehen, wenn es Winter ist und die Weiche gefroren ist, was ihr macht» oder «Wie wollt ihr Gepäckausladen, wenn ihr im Früh- oder Spätdienst allein im Dienst seid». Zudem wurden zum Teil schmutzige Witze erzählt, um zu sehen, ob wir rot und verlegen werden. Da war für mich klar spürbar, dass hier keine Gleichwertigkeit besteht, trotz Frauenstimmrecht. Doch ich liess mich von meinem Weg nicht abbringen und schloss die Zusatzlehre mit Erfolg ab. Anschliessend genoss ich die Schichtarbeiten, speziell der Nacht- und der Frühdienst. Nach acht Jahren verliess ich die SBB und arbeitete zwei Jahre in den USA. Da empfand ich keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern, jedoch zwischen Weissen und Schwarzen. Es existierte eine Quotenregelung wie viele Schwarze in einem Betrieb angestellt sein müssten. Diese Quotenmenschen, so konnte ich es beobachten, bekamen dies fast täglich zu hören und zu spüren.

Zurück in der Schweiz arbeitete ich bei einer NGO. Männer und Frauen wurden dort gleichbehandelt und erhielten für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn. Jedoch ist anzufügen, meine Chefin war eine Frau.

Im Alter von 29 Jahren bewarb ich mich erfolgreich als Kurdirektorin in Brienz. Den Zuschlag hatte ich erhalten, weil ich am wenigsten Lohn verlangte, wie ich später erfahren habe. Die Bescheidenheit ist noch heute eine Schwäche der Frauen. Wir verlangen nicht, was wir wert sind und der Arbeitgeber sagt natürlich nicht, dass die Stelle höher dotiert wäre. Wer zu einem zu tiefen Lohn einsteigt, kann diesen später fast nicht mehr korrigieren.

1991 wurde das 700-Jahr-Jubiläum der Eidgenossenschaft gefeiert, was rückblickend gesehen einen Wendepunkt in meinem Leben auslöste. Vom Verkehrsverein organisiert und mit Unterstützung vom Ballenberg wurde im Areal des Freilichtmuseums Ballenberg «Romeo und Julia auf dem Dorfe» aufgeführt. Ein Riesenerfolg, auf den noch viele weitere folgen könnten. Meine Vision fand jedoch beim Vorstand des Verkehrsvereins kein Gehör. So wagte ich den Schritt in die Selbstständigkeit und gründete den Verein Landschaftstheater Ballenberg, dessen Geschäftsführung ich als erstes Mandat übernahm. Gleichzeitig wurde ich angefragt, für den Gemeinderat zu kandidieren. Da der Gemeinderat den Tourismus in meinen Augen nicht genug förderte, beschloss ich, noch als parteilose, zu kandidieren. Ich wurde gewählt und vier Jahre später wurde ich als Quotenfrau auf die Grossratsliste der FDP gesetzt. Spitzenkandidaten waren zwei Männer. Gewählt wurde ich. Vier Jahre später das gleiche Szenario. Die FDP Brienz portierte mich als Kandidatin für den Regierungsrat. Zwei Männer waren gesetzt, doch nominiert wurde ich. Damit will ich zum Ausdruck bringen, ab den 90er Jahren, habe ich persönlich keine Benachteiligungen mehr erlebt, was sicher auch mit der Art und dem gestärkten Selbstbewusstsein zu tun hatte. Ist eine Frau von etwas überzeugt, kann sie heute das Ziel erreichen. Nachdenklich gestimmt hat mich, dass ich jeweils die erste Frau der FDP im Gemeinderat, die erste FDP Grossrätin aus dem Amtsbezirk Interlaken und auch die erste FDP Regierungsrätin war. Wir sind noch nicht am Ziel, da liegt noch viel Arbeit vor uns, doch es liegt an den Männern und an den Frauen.