Der harte Kampf vor den Richtern

Nicht nur der politische, auch der rechtliche Kampf für die Gleichstellung von Mann und Frau war lang und harzig. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts blieben die Vorstösse der Frauen erfolglos.

Hört oder liest man Beiträge zum Thema, geht es häufig um den politischen Kampf der Frauen das Frauenstimmrecht einzuführen. Vergessen geht dabei, dass die Frauen auch über die Rechtsprechung (vergeblich) versuchten die ihnen zustehenden Rechte durchzusetzen. Die ersten mutigen Frauen prozessierten dabei nicht gegen das fehlende Stimmrecht, sondern dafür, dass sie als Anwältinnen zur Berufsausübung zugelassen werden. Dies spielte insofern für die späteren Entscheide bezüglich der Stimmberechtigung von Frauen eine Rolle, da über das Aktivbürgerrecht entschieden wurde, resp. dass Frauen eben gerade nicht Aktivbürgerinnen waren und ihnen daher einige Rechte im Vergleich zu den Männern als Aktivbürger abgingen. Die Frauen argumentierten damals mit Art. 4 der Bundesverfassung (Stand: 1874) über die Rechtsgleichheit, wonach ihnen wie den Männern das gleiche Recht als Bürgerinnen der Schweiz zustehe. Im wegweisenden Fall Kempin antwortete das Bundesgericht auf diese Ansicht folgendermassen: „Wenn nun die Rekurrentin zunächst auf Art. 4 der Bundesverfassung abstellt und aus diesem Artikel scheint folgern zu wollen, die Bundesverfassung postuliere die volle rechtliche Gleichstellung der Geschlechter auf dem Gebiet des gesamten öffentlichen und Privatrecht, so ist diese Auffassung eben so neu als kühn; sie kann aber nicht gebilligt werden. Es bedarf in der Tat keiner weiteren Ausführung, dass man mit einer solchen Folgerung sich mit allen Regeln historischer Interpretation in Widerspruch setzen würde. (…).“ (BGE 13 I 1 [1887]). Mit diesem ersten wegweisenden Entscheid wurde die Rechtsprechung bezüglich der Partizipation der Frauen am öffentlichen Leben zementiert. Spätere Gerichtsentscheidungen bezogen sich immer wieder auf diese vorgenannte Passage und sprachen den Frauen die Gleichstellung ab.

Im Jahr 1923 erfolgte dann in Bern der erste Stimmrechtsentschied, wo Hilda Lehmann und 25 Mitstreiterinnen ihren Eintrag ins Stimmrechtregister verlangten. Wiederum versuchten sie mit der Rechtsgleichheit zu argumentieren und dass mit einer Neuinterpretation der Verfassung, genauer von Art. 74 BV (Stand: 1874), ihre Stimmberechtigung festgestellt werden könne. Hierauf antwortete das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 14. September 1923 abschlägig, es entspreche nicht dem Willen des Volkes bezüglich der politischen Rechte die Geschlechter gleichzustellen. Auch in anderen Kantonen waren Prozesse für die Einschreibung ins Stimmrechtsregister erfolglos. Auch noch im Jahr 1965 war es für die Bundesrichter undenkbar, Frauen als stimmberechtigt anzusehen (siehe Fall de Stockalper, Urteil des Bundesgerichts vom 29. April 1965 und Fall Kammacher, Urteil des Bundesgerichts vom 13. Oktober 1965). Trotzdem, dass hier nun die Frauen gar damit argumentierten, dass der Europarat die politische Gleichstellung verlange, gelang es den Richtern durch fadenscheinige Begründungen wonach u.a. die Beschwerde im Fall de Stockalper zu wenig ausgeführt sei, die geltende Rechtsordnung beizubehalten.

Doch nicht nur die Bundesrichter versuchten eine fundierte juristische Diskussion zum Thema politische Gleichstellung der Frauen so gut wie möglich zu umgehen. Auch die rechtswissenschaftliche Lehre nahm sich Anfang des 20. Jahrhunderts diesem Thema nur sehr wenig an. Es gab beispielsweise nur spärlich Literatur, in welcher der politischen Partizipation von Frauen auf kantonaler Ebene und den damit einhergehenden juristischen Fragestellungen Beachtung geschenkt wurde. Die Frage der politischen Gleichstellung auf Kantonsebene scheint bei den damaligen Staatsrechtswissenschaftlern nicht auf besonderes Interesse gestossen zu sein. Die Einführung des Frauenstimmrechts in den Kantonen wurde, wie auf nationaler Ebene, eher als eine politische denn als rechtliche Frage eingestuft, obwohl es natürlich durchaus interessante juristische Aspekte gege­ben hätte. Ab 1940 findet sich vermehrt Literatur zur Thematik: Hier waren es aber drei weibliche Juristinnen, die sich in ihren Dissertationen aus den 1940er- beziehungsweise 1960er-Jahren vertieft der politischen Partizipation von Frauen auf kantonaler Ebene widmeten.

Wer interessiert ist und gerne mehr zur Thematik aus historischer- und rechtswissenschaftlicher Sicht liest, wird auf die Neuerscheinung von Brigitte Studer, Judith Wyttenbach, Frauenstimmrecht, Historische und rechtliche Entwicklungen 1848-1971, Zürich, August 2021 verwiesen.

Laura Bircher, GRR-Mitglied in Muri-Gümligen und Daniela Feller, GGR-Mitglied Ostermundigen